Sonntag, 21. November 2010

Ein Interview aus dem Jahr 2152, das mich traurig macht


Hallo ihr Lieben,

ich bin ein fröhlicher Mensch. Ich nehme das Leben im Allgemeinen nur dann wirklich ernst, wenn es ernst zu mir ist. Gestern feierte meine Tochter ihren 8. Geburtstag. Sie hat ihre Freundinnen eingeladen, 10 Mädchen balgten sich im Keller und stellten alles auf den Kopf. Ich mag Kinderlachen. Sehr sogar. Die Unbeschwertheit, diese Unschuld. Ich bin noch ganz durchgeschwitzt.

Aber trotzdem bin ich heute traurig. Bei meinen Recherchen zum ausgebliebenen Weltuntergang 2012, über den im Moment gar nicht mehr so gern schreiben mag, bin ich auf ein Interview gestoßen, was mich melancholisch macht. Vor etwa 50 Jahren führte es der Journalist Ewen Holly mit dem Genethnologen Prof. Sarwey Christian. Er war ein Vertreter der Theorie, daß die Menschheit nur durch Katastrophen überleben kann. Nunja, ich denke anders. Aber ich habe auch nicht den tiefen Einblick. Dennoch muss ich sagen, daß Mr. Cristian in vielem was er sagt, erschreckend viel Recht hat. Man möchte es garnicht lesen, so weh tut es.

Bevor ich es hier reinstelle, möchte ich euch wissen lassen, was mir dabei im Kopf umging: Was wurde aus dem Kinderlachen in Big Zero? Wie groß waren die Schmerzen derer, die überhaupt keine Schuld trugen?

Und noch etwas zuvor: Ab morgen werde ich wieder fröhlicher sein. Ich versprechs.

Ewen Holly:
Mr. Christian, wir begehen in diesem Jahr den 100. Jahrestag von Big Zero. Viele schreiben dieser globalen Katastrophe zu, dass die Menschheit wegen ihr überhaupt noch existiert. Schließlich folgten dem Jahr 2052 die hellen Jahre des Wandels und der Erneuerung. Sie haben sich in Ihren Jahren am genethnologischen Stuhl in Cambridge jahrelang mit Big Zero und der Zeit davor beschäftigt. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Bilder der bombastischen Gedenkfeiern in New Berlin, London oder Hanoi sehen?

Mr. Christian:
An diesem Tag verbieten sich Gefühle.

Ewen Holly:
Das müssen Sie näher erläutern.

Mr. Christian:
Die Wissenschaft ist sich inzwischen einig, dass die Menschheit nicht ohne Katastrophen existieren kann. Entscheidend ist allerdings, wie lange sich diese aufschieben. Solche Kataklysmen lösen Spannungen, welche sich über Jahre, manchmal auch über Jahrhunderte in krisenfreien Zeiten aufbauen. Nach den gewaltigen Kriegen des 20. Jahrhunderts mit bis dahin ungekannten menschlichen Tragödien erlebte die Menschheit Jahrzehnte ohne nennenswerter Konflikte, welche in einer lawinenartigen Entwicklung technischen Fortschritts mündete. Die Spannungen, mit denen die Menschheit immer schon lebte, verlagerten sich in andere Bereiche. Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Entwicklung nochmals durch die Schaffung des weltweiten Netzes beschleunigt. Wertvorstellungen und Moral veränderten sich rasant, ebenso die Kultur der Freien Meinung, der im Netz keine Grenzen gesetzt waren.

Ewen Holly:
Aber gerade die Freie Meinung ist doch ein wertvolles Gut.

Mr. Christian:
Ja, natürlich, das ist sie. Die Freie Meinungsverbreitung im Netz beschleunigte zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch den Wandel des Bewusstseins, dass die Menschheit mit ihrem rücksichtslosen Verbrauch aller natürlichen Ressourcen nicht mehr lange überleben könne. Aber es war der falsche Zeitpunkt.

Ewen Holly:
Warum das?

Mr. Christian:
Nun, es war zu früh. Die Menschheit kannte zu diesem Zeitpunkt keine wirklichen Krisen, so wie wir sie letztendlich in Big Zero erlebt haben. Es gab zwar Naturkatastrophen und Hungerkrisen, aber das alles reichte nicht, um das Bewusstsein so weit zu schärfen, dass die Situation auf dem Planeten wirklich ernst war. Das Gegenteil wurde erreicht. Ganz neue Industriezweige entstanden, die sich an diesem erwachenden Bewusstseinswandel bereicherten und ihn damit zum unkontrollierbaren Monster machten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnte eine Regierung allein mit dem Hinweis darauf, umweltfreundlich zu sein, die irrwitzigsten Gesetze durchsetzen. Wer dagegen war, galt als Feind der Umwelt.

Ewen Holly:
Können Sie Beispiele nennen?

Mr. Christian:
Nun ja, da gab es mal eine Aktion der deutschen Regierung, dass Altautos verschrottet wurden und sogenannte Umweltprämien für neue, „sparsame“ Autos gezahlt wurden. Aber dass die Umweltfreundlichkeit dieser Autos allein durch die Aufwendungen an Ressourcen und Energie bei der Produktion der Autos aufgebraucht wurde, interessierte damals niemanden. Oder die Einführung sogenannter Energiesparlampen, die unglaublich umweltbelastend in der Herstellung waren und dann nur ein bisschen Strom sparten. Viele Jahre später war dies Anlass für einen der größten Gerichtsprozesse, die die Menschheit bis dahin gesehen hatte. Ein gewaltiger Korruptionsskandal trat zu Tage, der das Ende einiger großer Parteien und Großkonzerne zur Folge hatte. Aber da war es schon zu spät.

Ewen Holly:
Warum war es zu spät?

Mr. Christian:
Nun, die Spannungen in Wirtschaft und Gesellschaft hatten sich in den Jahren des sogenannten „Umweltbooms“ nur verschärft. Die wirklichen Probleme wurden nicht nur nicht erkannt, sondern verlagert und damit zu einem übergroßen Berg zusammen geschoben, der dann in Big Zero über der Menschheit zusammengebrochen ist. Zum Glück kam er dann doch noch so rechtzeitig, dass die Menschheit nicht ausgestorben ist und heute weiter existieren kann.

Ewen Holly:
Was hätte denn damals anders laufen müssen?

Mr. Christian:
Nun, ehrlich gesagt glaube ich nicht daran, dass die Menschheit ohne diese Kataklysmen auskommen kann, die die über lange Zeit aufgebauten Spannungen lösen. Was geschehen müsste, ist deshalb rein theoretischer Natur.

Ewen Holly.
Versuchen sie es bitte dennoch.

Mr. Christian:
Naja, zunächst ist seit langer Zeit bekannt, dass die Evolution gerade diejenigen befördert, welche sich in einem sozialen Netz bewegen, welches die Gegenseitigkeit belohnt. Eine Art, die sich hauptsächlich über hartes Durchsetzungsvermögen definiert, wird über kurz oder lang aussterben. Ironischerweise wurde diese Gesetzmäßigkeit bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts erkannt. Die Arten, welche für das Wohl der Gemeinschaft sorgen – damit meine ich nicht nur in der eigenen Rasse, damit meine ich innerhalb aller Arten eines Lebensraumes – werden sich am erfolgreichsten entwickeln.

Ewen Holly:
Löwen fressen Antilopen.

Mr. Christian:
Ja, natürlich. Sie fressen Antilopen und noch viele andere Tiere. Aber sie würden niemals ohne Hunger töten. Und sie töten auch nur einzelne Tiere. Außerdem besteht das Ökosystem der Savannen nicht nur aus Löwen. Da bildet die Gemeinschaft Tausender Arten ein ökologisches Netz. Wenn Löwen nicht wären, würden andere Tierpopulationen zu groß werden, was wiederum negative Auswirkungen auf andere Arten hätte. Das System käme aus dem Gleichgewicht. Der Mensch hat sich nach der industriellen Revolution aus diesem System abgehoben, er hat es nach seinem Gutdünken verändert ohne zu wissen, was er damit anrichtet. Die Massentierhaltung des 20. und 21. Jahrhunderts, -heute ganz zu Recht als das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte bezeichnet- war eines der perversen Auswüchse dieser Zeit. Der Mensch formte sich die Welt, weil er die Macht dazu hatte. Und er formte auch seine geistige Welt. Das führte dazu, dass Milliarden Menschen konsumierten, ohne sich Gedanken über die verheerenden Folgen zu machen, die der ungezügelte Konsum nach sich zog. Sie fühlten sich nicht einmal schuldig und man kann ihnen bis auf die geistige Trägheit auch keine bösen Absichten vorwerfen, weil das System sie zu Mitläufern erzog. Dadurch wuchsen die tödlichen Strukturen immer weiter.

Ewen Holly:
Hatte die Menschheit also gar keine Chance, Big Zero abzuwenden?

Mr. Christian:
Sie hätte sich von innen heraus grundlegend verändern müssen. Es war die Epoche, in der das Streben nach Macht und Bequemlichkeit zu den größten Erfolgen führte. Milliarden Menschen lebten in diesem System der gedankenlosen Ausbeutung von Ressourcen. Die Menschheit war noch nicht reif für die Macht, die ihnen die industrielle Revolution in die Hände legte. Sie hätte von innen heraus lernen und sich wandeln müssen, hätte begreifen müssen, dass sie nur eines von vielen Fäden im Netz des Lebens sind und dass dieses Netz zerrissen wird, wenn ein Faden alle andere erdrückt. Es wäre ein unendlich schwerer Prozess gewesen, ein Prozess, der niemals zuvor auf diesem Planeten stattfand. Ich halte es ehrlich gesagt für unmöglich, dass dies zu diesem Zeitpunkt gelingen konnte.

Ewen Holly:
Was für Gefahren sehen Sie heute?

Mr. Christian:
Nun, ich sehe heute nicht mehr die Gefahr, dass die natürlichen Ressourcen so ausgebeutet werden wie vor Big Zero. Die Menschheit lernt aus Katastrophen, so wie jede andere Art im Übrigen auch. Im Großen vaterländischen Krieg wurden 1945 Atombomben eingesetzt. Hunderttausende Menschen starben, es war ein großer Schrecken. Danach wurden im kalten Krieg bis 1989 unfassbar viele Atomwaffen hergestellt. Aber sie kamen nie zum Einsatz. Die Menschheit hatte gelernt. Ebenso sehe ich heute keine Gefahr mehr, dass die Menschen noch einmal hemmungslosen Raubbau an Bodenschätzen betreibt, die Meere leerfischt, unfassbar große Waldflächen abbrennt oder die Industrieproduktion von Tieren wieder legalisiert. Dennoch nehme ich derzeit Strömungen in der geistigen Entwicklung wahr, welche mir nicht gefallen. Das Zusammenleben mit künstlichen Intelligenzen und der unreflektierte Kontakt zu den PiriReis stellen für mich eine Gefahr dar, dessen Folgen ich derzeit noch nicht abzuschätzen vermag. Im Moment kann ich noch nicht beurteilen, welche Spannungen zu einem neuen Kataklysmus führen können, denn die Menschheit hat vor allem in den Jahren nach Big Zero an Reife gewonnen. Sie hat das Netz des Lebens besser verstanden als die Generationen davor. Sie muss diese Reife nun auch auf geistiger Ebene weiterpflegen.

Ewen Holly:
Mr. Christian, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.


Hatte die Menschheit wirklich nie eine Chance, Big Zero abzuwenden? Was wurde aus dem Kinderlachen? Mir ist heute nicht gut, liebe Freunde. Ich bin sehr traurig.

Euer Marsili.

3 Kommentare:

  1. Hey, Marsili

    ich bin über deinen Artikel "Veganer sind auch nur Menschen" auf deine Seite gestoßen. Da ich als Veganer Haushaltslehre unterrichte und meine Hardcore-Aufklärung mit Greuel Videos selber nicht mehr ertragen kann kommt mir dein Artikel gerade recht. Den werde ich jetzt mal meinen Kiddies vorlesen. Bin gespannt auf die Reaktionen. Danke! (Auch wenn ich dich schon nach den ersten Zeilen als Veganer erkannt hatte ;-))
    Liebe Grüße
    pb

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  2. das freut mich.
    Du hast mich in dem Artikel als Veganer erkannt? Oje, hoffentlich denkst Du jetzt nicht auch noch, daß ich garnicht aus dem Jahr 2200 blogge :o)

    Marsili

    Hier ist der Link zu dem Artikel:
    http://ksta.stadtmenschen.de/blogs/mod_blogs_eintrag/blog/kstablog/thema/vermischtes/eintrag/Veganer_Vegetarier_Fleisch_Essen/ocs_ausgabe/ksta_blogs/index.html?kommok=1

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  3. Vielen Dank für dieses Interview aus der Zukunft. Es ist schön zu sehen, dass sich (viele) Menschen Gedanken um die Zukunft (hier ja schon Vergangenheit) machen. Mal schauen, ob's was bringt!

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