In den Jahren nach der Jahrtausendwende formte sich in
Mitteleuropa eine Bewegung, die heute im Jahr 2200 zu den bedeutendsten
Einflüssen des weltweiten gesellschaftlichen Wandels gezählt wird. Nach Meinung
führender Historiker besaß sie damals noch am ehesten die Fähigkeit, die
Menschheit vor den Katastrophen zu bewahren, die später mit dem großen
Kataklysmus in Zero un im Jahr 2052 über sie hereinbrach. Als sich
unsere Gesellschaft nach diesen Schreckensjahren neu formte, floss in die
geistige Neugestaltung ein Großteil der Ideen ein, die bereits im
Gründungsdokument sowie in den später ausgearbeiteten Thesen dieser visionären Bewegung
enthalten waren.
Legenden ranken sich um die Entstehung der Organisation,
die zu ihrer Hochzeit mehrere Millionen Mitglieder hatte. Wir wissen heute weder,
wo genau ihr Ursprung lag noch, welche Menschen sich damals zusammenfanden und
den Funken auslösten, der zu einem großen Feuer der Herzen aufloderte. Wir wissen
nur, was es war, das die Menschen sich damals vereinen ließ: Es war die Sehnsucht
nach Frieden und der Wille, eine Zukunft auf unserem Planeten zu haben. Und der
Name ist längst eine Legende für sich: NEXT TRY.
Meine Mission hat vor kurzem eine Veränderung erfahren.
Wie ihr inzwischen vielleicht wisst, habe ich vom Ministerium für
chronologische Angelegenheiten inzwischen die Lizenz erhalten, selbst in die
Vergangenheit zu reisen. Einige Beiträge meines Blogs zeugen bereits davon,
ebenso mein in der Vergangenheit erschienenes erstes Buch „Wie ich verlernte,
Tiere zu essen.“.
Nun also NEXT TRY. Ich darf verraten, dass eine meiner beobachtenden
Aufgaben darin besteht, etwas über deren Gründungsjahre in Erfahrung zu
bringen.
Und heute werde ich meine ersten Erkenntnisse mit euch
teilen.
Das
Gründungsmanifest
Zunächst möchte ich das berühmte Gründungsmanifest
zitieren:
Aufbruch
Unsere derzeitige
Gesellschaftsform hat versagt.
Die weltweite
Zerstörung der Natur zeugt davon. Unermessliches Leid, Kollaps. Raubbau der
Lebensgrundlagen uns folgender Generationen.
Unsere Gesellschaft
funktioniert derzeit nur noch, weil sie die letzten Reserven anzapft und die
großen Probleme weiter verdrängt. Bald werden Klima und Ökosystem der Erde
umgekippt sein. Die Konsumokratie fährt gegen die Wand.
Auch wenn die Zeit
schön war und wir uns gut amüsiert haben wird es nun Zeit, die Verdrängungsmechanismen
abzuschalten und auf die Bremse zu treten. Nicht Amüsement und Profit dürfen
mehr im Vordergrund stehen, sondern der Erhalt unserer Lebensgrundlagen.
Es ist Zeit,
Industrie, Politik, Religion und Wissenschaft die Macht zu entziehen, die sie
auf uns ausübten. Es ist Zeit zu erkennen, dass wir selbst es sind, die ihnen
die Macht erst gaben, weil wir ihre Geschenke annahmen und damit unsere
Freiheit verkauften.
Zeit, ihnen zu
zeigen: „Ihr habt versagt. Jetzt sind andere dran, es zu versuchen.“
Wir sind jetzt
dran.
Nächster Versuch.
NEXT TRY
Leider ist das Original in den Wirren um Zero un verloren
gegangen, nur dieses alte Foto existiert noch davon. Die Worte wurden damals
offenbar ganz spontan in ein Buch geschrieben. Der oder die Verfasser sind
nicht mehr bekannt, auch nicht, ob das Buch noch weitere Texte enthielt. Es
gibt heute wilde Theorien darüber, was auf den anderen Seiten stehen könnte.
Uris Bellacard hat das Thema später in seinem Roman „Die feine Art zu sterben“
aufgegriffen. Er lässt darin eine Gruppe von Aussteigern in den Bergen einer
einsamen polynesischen Insel nach den verborgenen Texten in ihrem Geist suchen.
Im Lauf der Handlung entwickelt sich ein aberwitziger Trip, bei dem Fiktion und
Realität ineinander verschwimmen. Im Leser wird ein derart intensiver Sog
erzeugt, dass er nach der Lektüre nur noch eins will: wissen, welche
verborgenen Worte im Buch wirklich enthalten waren. Doch dieser Wunsch muss
leider unerfüllt bleiben.
Die ersten Jahre
Meine Mission in der Vergangenheit führte mich bisher in
die Jahre 2011 und 2012. Dort vermuten wir die Ursprünge von NEXT TRY. Und ich
fand in der Tat Spuren. Eine davon führte mich nach Berlin.
Berlin war damals eine aufregende Stadt. Mit drei
Millionen Menschen zählte sie nicht zu den größten Städten der Welt, doch sie
war ein Schmelztiegel der Sehnsüchte. Und eine der stärksten Sehnsüchte war die
nach Frieden mit der Natur und insbesondere nach Frieden mit den Tieren. Berlin
bot modern denkenden Menschen sehr gute Möglichkeiten, sich zu finden, sich zu
vernetzen und etwas aufzubauen. Große Organisationen hatten hier ihr zu Hause.
Organisationen, die später im Schulterschluss Millionen Menschen zu bewegen
vermochten. Alles begann mit der Abkehr vom Konsum tierischer Produkte. Das
Bewusstsein um die ethischen Konflikte und die gewaltigen Probleme, die die
Tierproduktion auf der Welt hinterließ, entwickelte hier den entscheidenden
Schub, der die Schweigemauern der Medien durchbrechen konnte und so die Mitte
der Gesellschaft erreichte. Gerade im deutschsprachigen Raum waren in den
Jahren zuvor theoretische Ansätze ausgearbeitet und verbreitet worden, die die
Tierrechtsbewegung aus den Kinderschuhen hob und zu einem ernstzunehmenden
Faktor machte.
Der Name
Der Name NEXT TRY entstammt vermutlich einem alten Roman,
der Hyperionsaga des visionären Autors Dan Simmons. In seinem berühmten Epos
schuf er eine faszinierende Figur namens Aenea. In ferner Zukunft wächst diese
Frau zur Führerin einer neuen Zeit heran. Irgendwann soll sie eine Rede halten
vor Menschen, die in einer zerstörten Welt ihre Hoffnungen an sie knüpfen. Sie
will ihnen Mut geben, will ihnen sagen, was sie tun haben in ihrer Not. Gut überlegt
sie ihre Worte, feilt an der Rede, immer wieder. Und sie ist nicht zufrieden.
Zu lang. Also kürzt sie die Rede. Sie kürzt sie immer weiter, will sie auf das
Wesentliche reduzieren und als es schließlich so weit ist, als die Menschen
erwartungsvoll zu ihr hinaufsehen, sind nur zwei Worte geblieben: „nächster Versuch.“
Next Try.
Was wollte sie den Menschen damit sagen? „Glaubt an euch.
Niemand kann euch vorschreiben, was ihr zu tun habt. Weder Politiker, noch
Industrien, noch Medien. Ihr, die vielen Menschen seid es, die gestalten, nicht
einige wenige, die euch die Gesetze diktieren wollen. Das alte System hat versagt.
Zeit, etwas Neues zu beginnen. Seht nicht zurück. Haltet euch nicht mit
Schuldzuweisungen auf. Lasst die Dunkelheit hinter euch. Auf zum nächsten
Versuch. Und macht es besser. Ihr selbst wisst, was schief gelaufen ist. Ihr
müsst nur in eure Herzen sehen und auf das hören, was in euch ist. Next Try.“
Aenea stirbt am Ende des Epos. Aber sie stirbt keinen
normalen Tod. Sie opfert sich und geht auf in den Menschen. Sie ist in ihnen.
Und mit ihr ist es die Hoffnung und die Kraft für eine neue, für eine bessere
Welt.
Entfachung eines
weltweiten Feuers
Wie wir wissen, wuchs NEXT TRY in den Jahren nach der
Gründung zum geistigen Global Player heran. Da sich viele Organisationen
dahinter vereinten, konnten zunächst kräftige Finanzquellen erschlossen werden.
Hochgebildete und technisch herausragend geschulte Kräfte lenkten bald mit Besonnenheit
und einer ordentlichen Portion Pragmatismus die Geschicke der Bewegung und
sorgten für eine außergewöhnliche Blüte. Mit einer Art Guerillataktik wurden
große Firmen unterwandert. Bald fanden sich an Schalthebeln großer Konzerne
NEXT TRY-Leute und rissen von dort die Ruder herum. Große Medien konnten so
beeinflusst werden. Legendär ist die beinahe gelungene komplette Übernahme der
Tageszeitung BILD durch NEXT TRY.
In der Politik hatte sich währenddessen eine neue Strömung
entwickelt, die auch in den Regierungen die Schleusen für die Ideen von NEXT
TRY öffnete. Immer mehr Menschen begeisterten sich für den Freiheitsgedanken.
Bald war die Partei, die sich 2012 noch DIE PIRATEN nannte und damals noch sehr
unerfahren war, an der Regierung beteiligt.
Einen weiteren sehr starken Einfluss auf NEXT TRY übte
die berühmte Occupybewegung aus, der ich mich noch in einem eigenen Beitrag
widmen werde. In ihr fanden sich die entscheidenden Wurzeln für die praktische Veränderung
des ganzen Gesellschaftssystems. Die Verschmelzung der Ideen ließ letztendlich
die Kraft entstehen, die NEXT TRY so erfolgreich werden ließ.
Gescheitert?
Und dennoch. Zero un konnte auch diese Bewegung nicht
aufhalten. Warum nicht?
Ich verbringe nun schon einige Monate in der Zeit, in der
dieser legendäre Aufbruch in eine neue Zeit seinen Anfang nahm. Ich spüre die Stimmung,
die Aufregung, ich begegne vielen Menschen, die Teil haben an der Veränderung
und diese ausgestalten. Natürlich fällt es mir oft schwer, weil ich um die
bevorstehenden Dinge weiß. Natürlich bin ich oft traurig, wenn ich die Hoffnung
in den Augen sehe und darum weiß, dass der Wandel der Gesellschaft leider zu
spät kommen wird. Und es fällt mir zunehmend schwer, meine wahre Herkunft zu
verschleiern und mich mit der Zurückzuhaltung zu bedecken, die mir vom
Ministerium auferlegt wurde.
Und immer öfter frage ich mich: warum ist NEXT TRY am
Ende tatsächlich gescheitert?
War es wirklich so, wie wir es zu wissen glauben? Unserem
Erkenntnisstand nach waren die Fesseln der Gesellschaft damals noch zu stark.
Es war nicht möglich, sich gänzlich aus ihnen zu befreien. Auch die Menschen,
die für die Veränderung kämpften, mussten sich nach wie vor gestrigen Gesetzen
unterwerfen. Sie brauchten Geld zum Leben. Sie brauchten Produkte, die ihnen
nach wie vor von der raubbauenden Industrie zur Verfügung gestellt wurden. Sie
waren nach wie vor in Traditionen gefangen, aus denen sie sich selbst nur sehr
langsam befreien konnten. Es war ihnen nicht möglich, sich der Konsumokratie
ganz zu entziehen. Auch NEXT TRYer wollten die neuesten Handys und Computer und
auch sie verbrauchten Rohstoffe in großen Mengen. Und sie konnten sich nur
langsam, zu langsam von der stärksten Fessel von allen befreien: vom Egoismus.
Die Jahre im unreflektierten Konsum hatten die Menschen
aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Sie hatten von Kind auf gelernt, sich
selbst über äußere Dinge zu identifizieren. Über Nationalitäten,
Fußballmannschaften, Fernsehserien, Autos, materiellen Besitz.
Und nur wenigen gelang es damals, die eingefahrenen
Gleise in der Konsequenz zu verlassen, die vielleicht nötig gewesen wäre. Auch Veränderer
lechzten weiter nach Selbstbestätigung. Viele von ihnen glaubten nach wie vor,
dass ihre Sicht von der Welt die einzig richtige sei. Konstruktive Kritik
anzunehmen fiel vielen nach wie vor schwer und Angriffe auf Andersdenkende
waren an der Tagesordnung. Auch NEXT TRYer lechzten weiter nach dem Füllen der
nach jahrelanger Betäubung durch materialistische Erziehung und unreflektiertem
Konsum entstandenen inneren Leere. Und so suchten auch sie weiter nach
Bestätigung im Äußeren, statt diese in sich selbst zu finden. Gerade aus der
Tierrechtsbewegung stammten viele verletzte Egos, die es zwar gut meinten,
jedoch durch Übereifer vieles vom Aufgebauten wieder einrissen.
Der Kampf zerrissener Egos wucherte, je mehr Macht NEXT
TRY bekam. Die Einigung hinter edlen Gedanken, das Zurückstecken der persönlichen
Belange hielt nur einige Jahre. Und am Ende zerriss dieser innere Konflikt die
ganze Bewegung. So glauben wir, ist es geschehen.
Ob es wirklich so war, bzw. so kommen wird, vermag ich aus
dem Jahr 2012 heraus noch nicht zu sagen. Ich muss zugeben, dass die Menschen dieser
Zeit mir inzwischen ans Herz gewachsen sind. Auch die innerlich zerrissenen und
verletzten, auch die, die ihrem Unmut laut Luft machen, selbst wenn sie damit
das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen wollen. Was ich an dieser
Zeit so liebe ist die faszinierende Stimmung. Die Euphorie, der Enthusiasmus,
die Verletzbarkeit, die ganzen echten und offenen Gefühle. Diese Augen, die
Blicke, der Sanftmut, der urplötzlich umschlagen und einen forttragen kann mit
seinem Feuer. Und die Hoffnungen und die aus der Sehnsucht erwachenden Ideen. Dieser
noch gärende Sud, der beinahe tagtäglich neue Blüten treibt und es schafft, einen
rasend schnell zu erfassen, mitzureißen und auch wieder niederzuwerfen.
Inhalte
In den Jahren nach der Gründung kristallisierten sich in
NEXT TRY Grundsätze heraus, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft dienen
sollten. Ich möchte an dieser Stelle einige der bedeutendsten Thesen nennen,
die für uns heute im Jahr 2200 selbstverständlich klingen, damals für viele
aber noch fremd und utopisch waren.
Das Erstaunliche ist, dass die meisten Menschen eine auf
diesen Thesen bauende Welt grundsätzlich für wünschenswert hielten, diese aber
dennoch als unerreichbar abtaten. NEXT TRY wollte damit brechen. Denn warum
sollte etwas unverwirklichbar sein, wenn doch der große Teil der Menschheit sich
dies erträumte? Dieses Paradox aufzuheben war einer der großen Kraftquellen der
Bewegung. Es muss sich durchsetzen, was tief im Inneren der Menschen heranreift.
Nur so kann eine gesunde gesellschaftliche Entwicklung gelingen.
Hier ein Auszug der Thesen:
Schaffung des
Bewusstseins dafür, dass der materielle Wohlstand der westlichen Welt zum
großen Teil nicht verdient ist sondern auf Diebstahl an der Natur, insbesondere
an den Tieren sowie an Menschen ärmerer Länder und kommenden Generationen beruht.
Beendigung
jeglicher Subvention von Produkten, die Diebstahl an der Natur und an Menschen begehen.
Im Preis der Produkte müssen sich die Kosten wiederfinden, die tatsächlich
verursacht werden.
Schaffung des
Bewusstseins dafür, dass die öffentliche Meinung in unserer Gesellschaft erheblich
vom Profitgedanken gelenkt ist. Der Gesellschaft muss die Macht genommen
werden, sich kritiklos konsumierende Menschen heranzuziehen. Sie darf Menschen
nicht länger dazu missbrauchen, ein marodes Systems zu erhalten.
Schaffung des
Bewusstseins dafür, dass Geld verstofflichte menschliche Beziehungen repräsentiert.
Unterbindung von Finanzaktionen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit den
damit verbundenen Konsequenzen für die Menschen missachten. Mensch und Natur
müssen im Zentrum jeglicher Aktivitäten stehen. Geld darf dagegen nur als
Hilfsmittel dienen.
Abschaffung
jeglicher Form von Meinungskontrolle, um die natürliche geistige Entwicklung
der Gesellschaft zu ermöglichen.
Schaffung des
Bewusstseins dafür, dass Abkehr vom über die Grundbedürfnisse hinaus gehenden Konsum
keine Einschränkung bedeutet und der dadurch entstehende Raum kein Defizit ist
sondern Freiraum für geistige Fortentwicklung bietet.
Schaffung des
Bewusstseins dafür, dass der Leistungsgedanke der westlichen Zivilisation nur
dem materiellen Wachstum dient und einer gesunden geistigen Entwicklung im Wege
steht. Schaffung von Freiräumen für Selbstverwirklichung durch Abwertung aller
nutzlosen gesellschaftlichen Zwänge.
NEXT TRY will ein Schiff
in die Zukunft bauen. Doch wir werden dafür keine Aufgaben verteilen. Vielmehr
werden wir die bereits in den Menschen lodernde Sehnsucht nach dem Meer
befreien (nach Saint-Exupéry).
Nachdem die Thesen veröffentlich waren, wurden vor allem
die Medien vorgeschickt, um sie aufs Heftigste anzugreifen. Zunächst wurde NEXT
TRY mit dem üblichen Spott betrachtet. Worte wie Extremisten, Träumer, Verschwörungstheorie, krude, Sozialismus und Utopie waren häufig benutzte Worte.
Nachdem die sich gut organisierende Bewegung aber einfach nicht mehr klein geredet
werden konnte, schaltete sich auch die Politik mit absurden Gerichtsverfahren
gegen deren Mitglieder sowie mit Verboten ein, die nur die Hilflosigkeit der Staatsorgane
offenbarten. Dadurch wurde jedoch nur erreicht, dass die Thesen noch stärker von
der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden und da wirken konnten, wo sie auf
fruchtbaren Boden fielen: in der tief im Inneren der Menschen sitzenden Sehnsucht
nach Frieden und Freiheit. Bald glaubten die meisten Menschen den öffentlichen Verleumdungen
nicht mehr. Bald verstanden sie, dass die von NEXT TRY beschriebene Welt keine
Utopie sein muss. Bald verstanden sie, dass sie selbst es waren, die diese Welt
zu errichten vermochten. Bald wussten sie: Wenn wir viele sind, müssen wir es
nur noch wollen.
Was wäre wenn?
Was wäre geschehen, wenn NEXT TRY durchgehalten hätte?
Hätte es Zero un gegeben? Hätte es mich gegeben? Könnte ich heute von den
Menschen der Vergangenheit berichten?
Manchmal überlege ich: Was wäre geschehen, wenn die sich
nach Veränderung sehnenden Menschen sich nicht in neuen Zwängen verloren hätten?
Was wäre, wenn die Menschen parallel zu ihrem Erwachen aus dem Konsumirrtum und
der daraus folgenden Abkehr zum Beispiel vom Tierkonsum auch zu sich selbst gefunden
hätten? Wenn sie Frieden und Gleichgewicht in sich selbst gefunden und dazu nicht
unbewusst die Bewegung benutzt und ihr dadurch viel Kraft geraubt hätten? Wenn
sie die Thesen wirklich verinnerlicht hätten?
Was wäre geschehen, wenn NEXT TRY nicht Millionen nach
Bestätigung suchender Egos vereint hätte sondern Millionen von Menschen, die in
sich ruhten und mit ihrer Besonnenheit noch viel größere Kraft entwickelt
hätten? Was wenn sie gewusst hätten, was wirkliche geistige Freiheit bedeutet? Daß
Freiheit nicht nur bedeutet, die äußeren Fesseln zu zerreißen sondern vor allem
die inneren, selbst angelegten, die ihnen von der Gesellschaft nur angeboten worden
sind? Was, wenn diese für uns im Jahr 2200 selbstverständliche Befreiung des in
den Menschen steckenden Selbst schon damals im ganz großen Stil um sich
gegriffen hätte?
Hätte NEXT TRY dann den Untergang in Zero un verhindern
können? Hätte das Schicksal von Milliarden Menschen einen anderen Lauf
genommen? Werden wir es jemals erfahren?
Aber dann reiße ich mich wieder zusammen und schiebe
diese Gedanken wieder von mir weg. „Alles hat seinen Sinn“, hat mein alter
Geografielehrer immer gesagt. Wenn die Erdplatten sich verschieben, kommt es zu
einem großen Krawall und dann türmt sich ein Gebirge auf, hihi. Und wenn es den
Krawall nicht gäbe, wo sollten wir dann Ski fahren, hä?“
So ein sinnloser Spruch. Ich habe mich immer über den
alten Kauz lustig gemacht. Natürlich weiß ich, dass meine Heimat, das Jahr 2200
ganz anders aussehen würde, wenn es die Katastrophen und das unermessliche Leid
in Zero un nicht gegeben hätte. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Ich hasse Skifahren.
Und jetzt wohne ich sowieso erstmal in Berlin. Im Jahr
2012. Und ich liebe diese Stadt und die Menschen. Ich liebe das Grün in den
Parks und ich liebe es, den Menschen in die Gesichter zu sehen, die durch die
Parks schlendern. Ich liebe die hastenden und die weilenden. Und ich liebe
sogar den Geruch der U-Bahn, weil der mich daran erinnert, dass mich überall wo
ich aus der Bahn steige, neue Überraschungen erwarten. Und ganz besonders liebe
ich den Sex, den diese Stadt ausstrahlt. Den aufregenden. Den veganen. Es gibt
keinen besseren.
Und ich glaube, dass hier irgendwo in den nächsten
Monaten jenes Dokument geschrieben werden wird, das einmal den Zündfunken zum Aufbruch
in eine neue Zeit liefern wird. Vielleicht bin ich einigen der couragierten
Köpfe bereits begegnet, die die Initiative ergreifen und ihre Kräfte
zu diesem vielversprechenden Netzwerk verknüpfen werden, das wir unter dem
Namen NEXT TRY kennen und verehren? Ganz sicher bin ich aber schon unter denen
vielen, die die Bewegung einmal tragen werden mit ihrer ganzen Kraft. Und wer weiß, vielleicht wird die
Geschichte auch einen ganz anderen Verlauf nehmen als den, den wir aus dem Jahr
2200 kennen. Vielleicht wird es doch anders kommen. Können die Fehler
vielleicht doch vermieden werden? Nichts ist unumstößlich, selbst die
Vergangenheit nicht. Doch ich will mich nicht aufs Feld der Spekulation begeben.
Viel lieber will ich leben und lieben und die Dinge tun,
die mein Bauch mir zuflüstert. Und schon seit langem sagt er, daß ich noch ein
Weilchen hier bleiben soll. Soll das Ministerium für chronologische
Angelegenheiten mich ruhig tadeln und abmahnen dafür. Ist mir egal. Es gibt
Schlimmeres. Zum Beispiel ein gefällter Baum im brasilianischen Urwald ...
Euer Marsili Cronberg